Connie Palmen
Vor allem Frauen
Über Virginia Woolf, Sylvia Plath, Joan Didion u.a.
"Die Frauen und der eine Mann in diesem Buch wecken in mir das Verlangen, so oft wie möglich in ihrer Nähe zu sein, und teilen damit das wichtigste Merkmal echter Freunde und Geliebten: Ihre Anwesenheit macht mein Leben schöner, spannender, geistreicher, komplexer und verständlicher."
Sprechen und Schweigen
Berühmten Autorinnen, Virginia Woolf und Joan Didion sowie Sylvia Plath nähert sich Connie Palmen, erkundet ihr Umfeld, ihre Art des Schreibens, wohl wissend, dass sich Verbergen und Offenbaren mischen. Nur in einer künstlichen, literarischen Form lasse sich eine Wahrheit aufdecken, die sich „hinter der sichtbaren Wirklichkeit versteckt“, und für die hierzulande weniger bekannten Autorinnen wie Vivian Gornick, Janet Malcolm und Olivia Laing gilt es ebenso. Dass sie Außenseiterinnen sind, ist für Palmen so anziehend, weil sie selbst diese Position nicht nur kennt, sondern als konstitutiv für gute Literatur erachtet, und gute Literatur ist immer „Sprechen und Schweigen zugleich, es ist Verhüllung durch Enthüllung, es ist Anwesenheit durch Absonderung, Existenz durch die eigene Auflösung“ - in diesem Sinn verneigt sich die Autorin dieser aufregenden und klugen Essays vor Virginia Woolf. Wo also beginnen? Wie gelingt es, ein intimes Band mit den Lesern und Leserinnen zu knüpfen?
„Worte sind Welten. Bevor ich mit einer Geschichte anfange, bitte ich die Sprache um Unterstützung. Ich suche nach der Herkunft eines Wortes, um herauszufinden, in welchem Boden es wurzelt, wie es sich in der Geschichte verzweigt, welche Reise es gemacht hat, was die Genese eines Begriffs mir zu erzählen vermag.“
Schreiben als Rebellion
Connie Palmen auf dieser Reise zu begleiten, ist Geschenk und Herausforderung zugleich: Mit Hartnäckigkeit befragt sie die Spannungsverhältnisse, denen ihre sechs Schriftstellerinnen ihre Werke abgerungen haben. Am besten könne sie andere verstehen, wenn sie das Echte und das Unechte begreift, dessen gefährliche Mischung die Grenze von Schreiben und Leben berührt. Nicht nur der Einfluss unserer Vergangenheit verzerrt das „Echte“ und führt zu Überschreibungen und Verzerrungen, so im Essay über Janet Malcolm, sondern die Wirklichkeit verändert sich immer dann, wenn sie in Worte gegossen wird, und das ist das Geheimnis allen Schreibens. Ein intimes Band mit dem Leser zu knüpfen sei „eine Frage des Stils, der Direktheit, der Kühnheit“, und Connie Palmen wird diesem Anspruch gerecht. Auch dann, wenn sie den sechs Frauen den Schriftsteller Philip Roth, einen „narzisstischen, misogynen, zwanghaften, ehebrecherischen Neurotiker“ hinzugesellt und ihm eine Liebeserklärung widmet. Warum? „Ein Leben in konstanter Uneinigkeit ist die beste Vorbereitung auf den Tod, die er kennt. In seinem Unvermögen, sich anzupassen, findet er seine Wahrheit“ - und darin erkennt sie das eigene Motto ihres Lebens. Schreiben als Akt der Rebellion zu begreifen, können nur jene, die sich selbst im Kampf, echt von unecht zu unterscheiden, nicht verschonen und ihre Masken und Kunstgriffe kennen.
Wahrheit und Fantasie
Das bedeutet nicht, als Garant der persönlichen Echtheit auf den eigenen Ursprung zu verweisen oder sich im Gewirr postmoderner Identitätsdebatten zu verirren. Im Text über die Doppeldeutigkeit des Songs der Kinks, „Lola“ aus dem Jahr 1970, macht Palmen sehr deutlich, was ihr „Lola, who walked like a woman, but talked like a man“ bedeutete, als sie noch sehr jung war: Der Song malte eine Zukunft aus, in der nicht alles festgeschrieben und ein anderes Leben möglich war.
„Fiktion ist das Drama der Abhängigkeit, in der die Wahrheit die Fantasie benötigt…Fiktion ist die Welt der Transgression schlechthin, der Doppeldeutigkeit, Ambiguität, Ambivalenz, die Welt, in der zwei einander ausschließende Pole gleichzeitig existieren können.“
Um sich ganze Welten auszudenken und glaubwürdige Figuren zu erschaffen, sind Romanautoren gezwungen, die Fiktionen zu begreifen, die ihre Sicht auf die Welt prägten und zu erkennen, dass Gegensätze untrennbar miteinander verbunden sind, Ursprung allen Erzählens. Dieses Leitmotiv verbindet die Essays in „Vor allem Frauen“, ebenso wie Connie Palmens unerschütterliches Vertrauen in die Kraft der Literatur.
„Die Möglichkeit zurückzublicken, die Geschichte im Nachhinein zu lesen und eine zusammenhängende Erzählung daraus zu machen, ist ein bitteres Geschenk für die Überlebenden.“
(Lore Kleinert)
Connie Palmen, *1955, mehrfach ausgezeichnete niederländische Schriftstellerin, lebt in Amsterdam
Connie Palmen „Vor allem Frauen“
über Virginia Woolf, Sylvia Plath, Joan Didion u.a.
aus dem Niederländischen von Lisa Mensing
Diogenes Verlag 2024, 156 Seiten, 22 Euro
eBook 18,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Connie Palmen: "Du sagst es"