Mick Herron
Slough House
„Willkommen in der Welt der Fake News, Jackson. Du hast dich schon zu lange im Slough House versteckt. Hier draußen ist es ungemütlich geworden.“ „Das war es schon immer“, sagte Lamb.“
Politischer Dschungel
Versteckt hatte sich Jackson Lamb keineswegs – Slough House, der Abstellplatz für ausgelagerte und bestrafte Agenten des MI6, war immerhin schon in sechs Bänden Ausgangspunkt von ausgefeilt spannenden und allemal ungemütlichen Abenteuern der „Slow Horses“, Lambs gebeutelter Truppe. Von der Chefin des Geheimdienstes Diana Taverner notorisch unterschätzt und auch in Mick Herrons siebtem Band wieder einziger Garant dafür, dass nicht alles den Bach herunter rauscht. Taverner hatte sich entschieden, Russlands Novichok-Giftattacke zu rächen und sich dafür von patriotisch gesinnten Milliardären finanziell unterstützen lassen, denn die Mittel ihrer Behörde sind sträflich beschnitten worden. Den Preis dafür hatte sie unterschätzt; Ex-Politiker und Populist Judd, auch ohne politisches Amt „ein großes Tier im politischen Dschungel“ nach dem kaum kaschierten Vorbild Boris Johnsons, setzt sie unter Druck und macht sich dafür Proteste der aufgehetzten Gelbwestenbewegung, die der Geheimdienst im Blick haben sollte, zunutze, zynisch wie und je.
„Demokratie ist ja schön und gut, Diana, aber niemand hat je behauptet, dass sie das A und O wäre. Schon gar nicht das Nonplusultra. Denk mal an das antike Griechenland – und wo steht die Nation heute? Sie klopft an die Hintertür und bettelt um Almosen. Dahin haben sie ihre hochfliegenden Ideen gebracht.“
Im Fadenkreuz
Die „Slow Horses“ geraten zwischen alle Fronten: nicht nur werden sie zu Übungszwecken für die Agentenausbildung des MI6 benutzt. Auch die russische Revanche trifft sie, denn sie sind bewusst ins Fadenkreuz der Gegner gesetzt worden. Nachdem zwei ehemalige Agenten aus ihren Reihen getötet wurden, weiß Jackson Lamb, dass er mit der Unterstützung der Chefin des Dienstes nicht rechnen kann. „Wenn wir alle auf der gleichen Seite stehen würden, müssten wir nicht mit dem Rücken zur Wand gehen.“
Mick Herron führt die populistischen Politiker ebenso vor wie die Angeber und Lügner der ‚neuen‘ Medien und die Netzwerke der Old Boys, die hinter ihnen lauern, und er bindet die unterschiedlichen Szenen in einem bedrohlichen, grauen Portrait der britischen Hauptstadt zusammen.
„Denn eine Stadt ist etwas Unbeständiges, ihre Oberfläche verändert sich unablässig, wie das Meer. Und wie das Meer hat auch eine Stadt ihre Haie.“ Der naive Glaube, es genüge, „dass man monströse historische Bewegungen studieren (müsse), um sicherzustellen, dass sie nie wieder passieren“, scheitert, so Taverner, daran, dass manche dieses Studium nutzen, um „ihre Methoden zu perfektionieren in der Hoffnung, dass die Rechnung beim nächsten Mal aufging.“
Kontrollverlust
Während Taverner versucht, die Kontrolle nicht an ihre Geldgeber zu verlieren, kämpfen die ‚Slow Horses‘ um ihr Leben und gegen die Gegner im eigenen Land, denn die von Russland gesandten Killer kreisen ihre Zielpersonen ein, und die Bürokraten Englands haben Slough House abgeschrieben und sogar aus den Unterlagen des Geheimdienstes gelöscht.
„Bei der geringen Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwird, könnte Slough House genauso gut gar nicht existieren. Das ist zwar nicht überraschend, denn die Geheimdienstbranche ist nicht gerade für ihre Blitzlichtgewitter bekannt, aber es vermittelt auch den Eindruck von Überflüssigkeit.“
Doch überflüssig sind sie keineswegs: Louisa Guy, River Cartwright, Lech Wicinski und Catherine Standish und nicht zu vergessen Shirley Dander, deren Partner bereits die Angewohnheit entwickelten, im Dienst ums Leben zu kommen, verwickelt ihr Schöpfer Herron in gewohnt kunstvolle und mit britischem Humor gespickte Action-Schleifen und lässt auch Totgeglaubte auferstehen. Als Lambs Leute noch zu verstehen versuchen, was mit ihnen geschieht, sind sie längst in Machenschaften außerhalb ihrer Kontrolle verstrickt und sehen sich Feinden gegenüber, die Kollateralschäden nicht scheuen, und für eigene Fehler sind sie auch diesmal berüchtigt.
Einzelkämpfer
Vergnüglich ist auch in diesem siebten Band in Mick Herrons Serie, wie der politisch vollständig unkorrekte Lamb und seine Chefin um ihre Sicht der Dinge kämpfen, er mit abgrundtiefer Verachtung für alles, was sie repräsentiert und sie mit geheimem Respekt für seinen unschlagbaren Instinkt. Er schindet seine Agenten und beleidigt sie fortwährend, aber im Stich lässt er sie nie, und das verleiht den ungewöhnlichen Lösungsfindungen dieser ausgemusterten und seltsamen Einzelkämpfer der traurigen Gestalt einen ganz besonderen Zauber.
(Lore Kleinert)
Mick Herron „Slough House“
Ein Fall für die Slow Horses
aus dem Englischen von Stefanie Schäfer
Roman, Diogenes Verlag 2024, 431 Seiten, 19 Euro