Florian Illies
Liebe in Zeiten des Hasses
Chronik eines Gefühls 1929 – 1939
„Die dreißiger Jahre müssen den Preis für die zwanziger Jahre zahlen, im Allgemeinen, aber auch besonders im Falle von Zelda und F. Scott Fitzgerald.“
Leben im Hotel
In seinem Roman „Zärtlich ist die Nacht“ setzte F. Scott Fitzgerald seiner Liebe ein literarisches Denkmal, der zum zerstörerischen Alkohol und der zu seiner Frau Zelda. Während sie das gesamte Jahr 1934 in der Psychiatrie verbringt, beschreibt sie zwischen ihren Selbstmordversuchen alle Hotelzimmer, in denen das Ehepaar seit seiner Ankunft in Europa 1921 wohnte – eine Bilanz einer glanzvollen Zeit, die in Verzweiflung und Schrecken endete, - und für ihren Mann im Weltruhm als Schriftsteller. Auch Klaus Mann wird außer im Haus seiner Eltern in München nie eine feste Wohnung haben, schon 1931 schrieb er sein Gedicht „Gruß an das zwölfhundertste Hotelzimmer“, mit 24 Jahren. Am 30. Januar 1933 hat Bertolt Brecht Deutschland schon verlassen, auch Alfred Döblin läuft zu Fuß über die Schweizer Grenze, emigriert mit Frau und Kindern nach Paris. Seine Geliebte, der Erna Döblin zuletzt in Berlin Hausverbot erteilt hat, folgt ihm, doch anrufen darf sie ihn nicht mehr:
„In diesem Moment weiß Yolla Niclas, dass auch die Emigration nichts an den Bedingungen ändert, unter denen eine Liebe wachsen kann – oder verkümmern muss.“
Jahre des Umbruchs
Florian Illies skizziert die Bedingungen für Liebe und ihre mehr oder weniger liebevollen Varianten mit leichter Hand und in eleganter Sprache. Was zunächst wie gepflegter Klatsch erscheint, von einem, der all die skurrilen, traurigen und herzzerreißenden Geschichten im Blick hat, all die berühmten Namen kennt, all ihren Geheimnissen auf der Spur ist, verdichtet sich unmerklich zu einem präzise erfassten und kunstvoll montierten Bild psychischer Befindlichkeiten in den Jahren des Umbruchs. Zwar boten die zwanziger Jahre Glanz für viele, der die Düsternis der Nachkriegsjahre vergessen ließ und vor allem für die Frauen neue Freiheiten bot. Doch die Sexualisierung des Lebens wirkte ebenso wie der exzessive Konsum von Suchtmitteln auch verstörend. Glück ist den Menschen mit den vielen Affären und der scheinbar so begehrenswerten Freiheit nur selten beschieden, - man panzerte sich gegen Gefühle, für die noch keine Form gefunden war, und pflegte einen ‚Kult der Kälte‘.
Flucht oder Tod
Als die Bars geschlossen und die Bücher verbrannt werden, zeigt sich, welche Beziehungen weitertragen und warum es so vielen nicht gelingt. Die einen flüchten oder verlieren das Leben, die anderen richten sich ein, und einige beginnen sich zu wehren. Illies‘ Reigen von gut ausgewählten und aufeinander abgestimmten Miniaturen, auf Biografien und Tagebüchern basierend, erkundet Facetten der Freundschaft, Liebe und Einsamkeit. Während sich in Sanary-sur-Mer eine kleine Emigrantenkolonie um die Manns und Feuchtwangers entwickelt, die vor dem drohenden Krieg bald weiterflüchten wird, hat sich Walter Benjamin auf Ibiza verkrochen, liest Célines „Reise ans Ende der Nacht“ und hört Francos Truppen an seinem Haus vorbeimarschieren:
„Franco, Céline, Walter Benjamin – am späten Nachmittag des 6. Mai 1933 kreuzen sich hier für ein paar Minuten auf dem 38. Breitengrad die Lebenslinien von drei Männern, mit denen allein sich alle Abgründe der dreißiger Jahre erzählen ließen. Es wäre ein Reiseführer für das Ende der Nacht. Denn ebenjener General Franco wird sieben Jahre später den Befehl erteilen, dass keine Flüchtlinge mehr die französisch-spanische Grenze passieren dürfen. Und genau dies wird für Walter Benjamin tödliche Folgen haben.“
Traurige Bilder
Den schwulen Liedtexter Bruno Balz, schon in den Fängen der Gestapo, rettet seine Begabung, denn man bringt ihn nicht um, wie so viele andere, sondern lässt ihn Durchhaltetexte für Zarah Leander dichten: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“. Erich Mühsam, als jüdischer Kommunist bevorzugtes Objekt von Misshandlungen im KZ Oranienburg, wird im Juni 1934 ermordet. Jean Paul Sartre hingegen beklagt, sich mit fast dreißig leer zu fühlen, während Simone de Beauvoir stumm an seiner Seite leidet, und Gottfried Benn verkriecht sich. Mit leiser Ironie berichtet Illies von den Bemühungen vieler Männer und einiger Frauen, sich durch immer neue Begegnungen lebendiger zu fühlen, während er das Leiden an der Liebe, am Verlust der Heimat und der drohenden Kriegsgefahr durch Nazideutschland mit tiefem Mitgefühl zu traurigen Bildern verdichtet. Marlene Dietrich beendete die dreißiger Jahre so, wie sie als ‚Blauer Engel‘ begann: als Ikone des Begehrens, jetzt mit amerikanischer Staatsbürgerschaft und fortgesetzter Freude an Liebesaffären. Ihr entlassener Geliebter Erich Maria Remarque findet in seinen Tagebucheinträgen treffende Worte zum Leiden seiner Generation:
„Wir haben alle so wenig Wärme für uns selbst in unseren Herzen – wir Kinder verwirrter Zeiten – so wenig Glauben an uns – viel zu viel Tapferkeit und viel zu wenig Hoffnung. Dumme kleine Soldaten des Lebens, Kinder verwirrter Zeiten mit einem Traum, manchmal nachts.“
(Lore Kleinert)
Florian Illies, *1971 in Hessen, Kunsthistoriker und Journalist, Mitherausgeber der ZEIT und freier Schriftsteller, lebt in Berlin
Florian Illies „Liebe in Zeiten des Hasses“
Chronik eines Gefühls 1929 – 1939
S. Fischer Verlag 2021, 432 Seiten, 24 Euro
eBook 19,99 Euro, AudioCD 22,99 Euro