Philip Roth
Exit Ghost
In seinem Buch "Jedermann" schilderte Philip Roth den körperlichen Verfall in all' seiner Bedrohlichkeit:
"Das Alter ist keine Schlacht, das Alter ist ein Massaker", schreibt er unerbittlich und erbarmungslos.
Eine Art Fortsetzung findet dieser "Jedermann" im neuen Roman des amerikanischen Schriftstellers, "Exit Ghost". Im Gegensatz zu "Jedermann" begegnen wir dem Protagonisten allerdings nicht nach seinem Tod, als er sein eigenes Begräbnis beobachtet. Diesmal verschwindet er einfach.
Gegen die Zivilisation
Das Leid des Alters und die Sehnsucht nach Leben spielen auch hier die Hauptrolle. Wir treffen Nathan Zuckerman wieder, das unerklärte Alter Ego des Autors.
Elf Jahre lang hat der erfolgreiche Schriftsteller der Zivilisation den Rücken gekehrt, in Neuengland auf dem Land gelebt, allein, ohne Zeitung und Fernsehen. Er wollte nichts wissen von der Welt. In New York will sich der 70jährige, inzwischen inkontinent und impotent, einer Operation unterziehen, die mehr Lebensqualität verspricht.
Quälende Sehnsucht
Es ist Oktober 2004, die Woche der Präsidentschaftswahlen, die George W. Bush eine weitere Amtszeit bescheren. Für die junge New Yorker Autorin Jamie ist das ein Schock. Seit dem elften September lebt sie in ständiger Angst. Jetzt will sie raus aus New York und mit ihrem Mann ein Jahr in Abgeschiedenheit leben.
Die Annonce für einen Wohnungstausch entdeckt Nathan Zuckerman und beschließt, nach New York zurückzukehren. Er besucht das junge Paar und ist fasziniert von Jamie, fühlt sich erotisch angezogen, leidet unter quälenden Sehnsüchten nach sexueller Lust.
Ehrgeiz und Konkurrenz
Er begegnet noch einer anderen Frau: Amy ist die einstige Gefährtin eines befreundeten Schriftstellers, der längst tot ist. Sie leidet unter einem Tumor im Kopf und hat eine Operation hinter sich. Die kranke, alte Frau will ihren ehemaligen Lebensgefährten vor einem ehrgeizigen Biografen schützen, der die dunklen Seiten seines Lebens ausgegraben hat und mehr Informationen sucht. Auch Zuckerman will dieses Buch verhindern, fühlt sich aber zugleich in seinem Ehrgeiz angestachelt und in eine Art Konkurrenz gedrängt.
Ungnade des Alters
Der alte Mann und erfolgreiche Autor läßt sich vom Leben und von heimlicher Leidenschaft noch einmal herausfordern. Aber er stellt sich dem Kampf nur kurz, erkennt seine Unterlegenheit und die Ungnade des Alters. Er flüchtet sich ins Schreiben erotischer Dialoge mit Jamie und erkennt die Ausweglosigkeit seines Tuns. Überwältigt von innerer Zerrissenheit kehrt er New York urplötzlich den Rücken.
Unerbittlich bis ins Detail
Philip Roth beschreibt auch in diesem Roman den Prozess des Alterns mit unerbittlicher Genauigkeit. Er erspart uns nicht die Peinlichkeiten körperlichen Verfalls und beginnender geistiger Schwäche. Er konfrontiert uns mit der Gnadenlosigkeit der Jugend, die kraftvoll und rücksichtslos ihre Ziele durchzusetzen gedenkt.
Die persönlichen Geschichten seiner Figuren sind mit der Schicksalhaftigkeit zufälliger Begegnungen verknüpft. Im Hintergrund steht allgegenwärtig das Leiden an der Welt. Ruhig und präzise, manchmal melancholisch und bisweilen sarkastisch und ironisch erzählt Roth vom drohenden Realitätsverlust eines alten Mannes, den unerfüllbare Träume zu irrationalem Handeln treiben und den seine Vergangenheit einholt.
(Christiane Schwalbe)
Philip Roth "Exit Ghost"
Roman, Hanser Verlag 2008, 19.90 Euro, Taschenbuch 6,00 Euro
eBook 5,70 Euro, Audiobook 13,99 Euro