Avi Primor
Süß und ehrenvoll
Nach einem halben Dutzend Sachbüchern hat Avi Primor, ehemals Israels Botschafter in Brüssel, Bonn und Berlin, einen Roman geschrieben. Er behandelt das Schicksal zweier jüdischer Soldaten im ersten Weltkrieg, der ersten großen Katastrophe des 2o. Jahrhunderts, die 16 Millionen Menschenleben kostete.
Beschwörung des Heldentods
Sie erhofften sich damals, dass der Heldenmut fürs Vaterland, der Einsatz des eigenen Lebens sie in den Augen ihres jeweiligen Staates endlich zu vollwertigen Bürgern machen würde. "Süß und ehrenvoll" ist der Titel, angelehnt an den römischen Dichter Horaz, dessen Beschwörung des Heldentodes auf allen deutschen Gymnasien zur Grundausstattung gehörte.
Brutales Gemetzel
Dass der Tod im Krieg nicht süß und ehrenvoll daherkommt, sondern als brutales Gemetzel, mit Giftgas und Bajonetten, in elenden Schlachten und nach langem Lauern in Schützengräben, das erfahren die jungen Kriegsfreiwilligen des ersten großen Krieges im 20. Jahrhundert sehr bald. Für die Juden unter ihnen bedeutete das leidenschaftliche Bekenntnis zur deutschen Kultur, sich als deutsche Staatsbürger zu definieren, und wenn das Vaterland zu den Waffen rief, war man bereit – und begeistert:
"Begreift ihr, was das bedeutet?" rief Dr. Kronheim mit erstickter Stimme. "Das heißt, dass die letzten Schranken zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland gefallen sind! Wir sind Deutsche! Deutsche wie alle anderen."
Patriotische Kriegsbegeisterung
Die Söhne sind es, die Avi Primor in seinem Roman über die Beteiligung jüdischer Bürger am ersten Weltkrieg in den Mittelpunkt stellt, ihr Schicksal will er erzählen, ihre Verstrickung in patriotische Kriegsbegeisterung und rauschhaftes Gemeinschaftsgefühl beleuchten. Der Erste Weltkrieg beschäftigt Primor als "ein präzedenzloser Fall", denn Juden kämpften erstmals gegeneinander, weil sie darin eine Chance ihrer gesellschaftlichen Emanzipation sahen.
Gefeierte Soldaten
In den Schützengräben sollte sich zeigen, welch' tragischer Illusion man damit aufgesessen war. Ludwig Kronheim ist der Sohn einer großbürgerlichen jüdischen Familie aus Frankfurt, Louis Naquet der einer jüdischen Bäckerfamilie aus Bordeaux. Auch in Frankreich hatten die Juden begonnen, sich als Bürger jüdischen Glaubens zu begreifen, wiewohl die Anpassung an die Gesellschaft skeptischer erfolgte als im feindlichen Nachbarland, doch auch hier wurde gefeiert, als Louis Naquet Soldat wurde:
"In dieser fröhlichen Runde schien niemand die Einberufung für eine Tragödie zu halten. Im Gegenteil, zumindest die Männer betrachteten den Militärdienst als spannendes Erlebnis, das Abenteuer im weltumspannenden Kolonialreich versprach. "Jetzt wirst du ein Mann!" rief man Louis zu und stieß auf sein Wohl an."
Schrecken des Krieges
Wie in einem Dokumentarfilm montiert Primor die Erlebnisse der beiden jungen Soldaten zu Handlungssträngen, die vom Schrecken des Krieges erzählen, aber auch vom Unverständnis in der Heimat und von den Lernprozessen, die die Sicht auf das Leben verändern. In Liebesbriefen kommen Kriegserlebnisse zwar zur Sprache, sind aber immer schon gefiltert mit Rücksichtnahme und dem Verbannen des Schreckens aus jeglicher Kommunikation. Das kennt man aus allen Kriegen, doch der besondere Reiz des Romans resultiert hier aus der besonderen Situation der jüdischen Soldaten und ihrer Familien."Natürlich wusste ich, dass eine Schlacht kein Zuckerschlecken ist, ja, dass es grauenvoll ist. Aber die Realität ist noch viel grauenhafter. Ich kann es Dir nicht beschreiben, weiß selbst noch nicht, was ich fühle…"
Raum für Emotionen
Avi Primors Forschung führte ihn ins Leo-Baeck-Institut in Jerusalem, zu Akten und Materialien, die Anfang der dreißiger Jahre eingewanderte Juden aus Deutschland hatten mitnehmen können, darunter Berge deutscher Feldpostbriefe. Sie verschaffen seinem Roman das Fundament: Tausende dieser Millionen täglicher Briefe hat er gelesen und sich schließlich entschlossen, statt eines Sachbuchs einen Roman zu schreiben, um den Emotionen mehr Raum zu geben.
Primor lässt seine Protagonisten überlieferte Ereignisse des Krieges miterleben und zeichnet das Porträt zweier junger Männer, die sich als Feinde gegenüberstehen, weil sie sich zugehörig fühlen wollen und die Auffassung von Pflicht und Heimattreue ihrer Länder teilen. Schon während des Krieges wurde deutlich, dass diese Bereitschaft zur Anpassung nicht den gewünschten Erfolg hatte.
Vergebliche Hoffnungen
Als Hitlers "Reichsbürgergesetz" 1935 dem jüdischen deutschen Bürgertum mit einem Federstrich die staatsbürgerlichen Rechte entzog und die jüdischen Mitbürger Jahre vor dem Massenmord aus dem öffentlichen Raum verbannte, wurde auch gelöscht, wie sehr sie sich, voller Stolz und Hoffnung, jahrzehntelang assimiliert und auf den Dank des Vaterlands gehofft hatten. Vor den Vernichtungslagern schützten sie auch die wegen Tapferkeit im Krieg verliehenen Orden nicht.
(Lore Kleinert)
Avi Primor *1935 in Tel Aviv, 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland
Avi Primor "Süß und ehrenvoll"
Roman, Bastei Lübbe Quadriga 2013, 384 Seiten, 19,99 Euro
eBook 14,99 Euro
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