Andrea Wulf
Die Abenteuer des Alexander von Humboldt
lllustriert von Lillian Melcher
Sein Leben gleicht einem Abenteuerroman und das Humboldt-Jahr 2019 gibt Gelegenheit, sich vom unerschöpflichen Wissensdurst dieses Forschers, von seinem Mut und seiner Weitsicht zu überzeugen. Humboldt war der erste, der vor dem Klimawandel warnte und davor, dass der Mensch die Fähigkeit besitzt, seine Umwelt zu zerstören, denn: Alles ist Wechselwirkung.
Auf Humboldts Spuren
Andrea Wulf, Historikerin, Humboldt-Biografin und Bestellerautorin, hat schon mit "Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur" ein Buch geschrieben, das – weltweit und vielfach preisgekrönt – diesem weitblickenden und visionären Forscher ein Denkmal setzt – und zwar so, wie Humboldt es sich gewünscht hätte: Populär, verständlich, nachvollziehbar und unterhaltsam. Vielleicht ist ihr das so meisterhaft gelungen, weil sie – neben umfangreichen Recherchen in den Archiven und ausführlichen Studien der Aufzeichnungen, Tagebücher, Notizen und Zeichnungen Humboldts – sich auf die Spuren des Forschers begeben hat, ihm um die Welt nachgereist ist und neben Europa auch in Venezuela, Ecuador, Kolumbien und Peru Orte besuchte, an denen er sich zusammen mit seinem Begleiter Bonpland, einem Biologen, aufgehalten hat.
"Ich habe Berge erklommen, bin auf tropischen Flüssen gepaddelt, in Minen hinabgestiegen und durchforstete staubige Tagebuchseiten mit Humboldts unleserlicher Handschrift."
Fast 4000 Seiten waren zu sichten, erst seit Ende 2014 online einsehbar, bis dahin in Privatbesitz.
Unterwegs in Südamerika
Außerordentlich und ungewöhnlich zugleich ist daher auch ihr zweites Buch über Humboldt, "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt", eine Graphic Novel, farbenprächtig illustriert von Lillian Melcher. "Eine Entdeckungsreise" heißt es im Untertitel und in der Tat: Es ist eine sinnliche Entdeckungsreise der besonderen Art für jeden, der dieses Buch aufschlägt, losblättert und nicht mehr aus der Hand legen mag. Wulf und Melcher erzählen Humboldts Geschichte in Bildern aus der sehr persönlichen Perspektive dieser neu einsehbaren Tagebuchaufzeichnungen. Melcher hat sich von Skizzen, Landkarten, Kupferstichen und getrockneten Pflanzen inspirieren lassen, die Dialoge zwischen Humboldt und Bonpland sind zwar fiktiv, aber ihre Inhalte basieren auf Tagebucheinträgen und Briefen.
Unersättliche Neugier
Dass in Humboldts Zeiten das Reisen eine beschwerliche und gefährliche Angelegenheit war und mit den heutigen Bedingungen nicht zu vergleichen ist, nötigt der Autorin immer wieder besondere Bewunderung ab, denn unter Luftnot und Kälte haben die Forscher deutlich extremer gelitten. Sie sind mit zerschlissenen Schuhe über Felsen, durch Schnee und Eis gelaufen, oft ohne ausreichend warme Kleidung, lakonisch kommentiert mit: "Nächstes Mal sollten wir Mäntel mitnehmen, Humboldt." Humboldt kann nicht schwimmen, unternimmt aber eine gefährliche Bootsfahrt auf dem Orinoco - und seziert vor den Augen der Einheimischen einen Fisch, was diese für ausgemachten Blödsinn halten, schließlich ist er zum Essen gefangen worden. Immer dabei, auf welch' verschlungenen und gefährlichen Wegen er sich auch fortbewegte: Wissenschaftliche Instrumente, darunter Barometer und Inklinationsnadel, mit denen er Berghöhen und Magnetismus vermaß. Er sprach als erster von globaler Vegetation und Klimazonen. Ob Sternenregen oder Bergbesteigung – alles dient der Erklärung von Zusammenhängen: "Wie sie wissen, ist meine Neugier unersättlich …."
Der Mensch als Störenfried
Es finden sich viele illustrierte Kernsätze der Humboldtschen Philosophie, die seinen wissenschaftlichen Anspruch auf den Punkt bringen:
"Alles steht in Wechselwirkung miteinander und hängt zusammen ...Wälder regulieren das Klima ...durch kühlenden Schatten, durch Verdunstung und durch Wärmestrahlung … Abholzung, Monokultur und Bewässerung können katastrophale Auswirkungen auf die Natur haben …Die Menschen stören die Ordnung der Natur."
Und das in einem heute bereits sichtbaren katastrophalen Ausmaß. Humboldt überstand Entbehrungen und übermenschliche Herausforderungen, Erdbeben, Stürme und Naturkatastrophen jeder Art, er respektierte Sitten und Gebräuche indigener Völker und lernte von ihnen, und weil er die Wirkung bestimmter Früchte und Substanzen kennenlernen wollte, experimentierte er damit am eigenen Leib – er überlebte und wurde trotz seines strapaziösen und nicht eben ungefährlichen Lebens 89 Jahre alt.
Vergnügliche Abenteuerreise
Wer ihn kennenlernen möchte, seine Philosophie, seine Errungenschaften, seine humanistische Weltanschauung und sein revolutionäres Naturverständnis verstehen und sich auf eine ganz besondere Forschungsreise mit ihm einlassen möchte, der sollte das mit Andrea Wulfs überaus informativer, vergnüglicher und spannender Graphic Novel "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt" tun. Wulf ist ganz offensichtlich so tief ins Leben dieses Forschers eingedrungen, dass es manchmal den Anschein hat, als lebe sie es selbst noch einmal nach – allerdings mit dem Blick des 21. Jahrhunderts.
(Christiane Schwalbe)
Andrea Wulf, *1972 in Neu-Delhi/Indien, aufgewachsen in Deutschland, Kunsthistorikerin, Journalistin und Sachbuchautorin, lebt seit langem in London
Andrea Wulf "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt"
lllustriert von Lillian Melcher
Aus dem Englischen von Gabriele Werbeck
C. Bertelsmann 2019, 272 Seiten, 28 Euro
Andrea Wulf
"Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur"
"The Invention of Nature" übersetzt aus dem Englischen von Hainer Kober
C. Bertelsmann 2018, 560 Seiten, 8 Seiten Farbbildanteil, 24,99 Euro, broschiert 15 Euro
eBook 12,99 Euro, AudioCD 12,45 Euro
Weiterer Buchtipp zu Andrea Wulf
Fabelhafte Rebellen