Hazel Rosenstrauch
Congress mit Damen
Europa zu Gast in Wien 1814/1815
Frieden sollte er bringen und Europa neu ordnen, der Wiener Kongress, und Hazel Rosenstrauch weist zu Recht gleich zu Beginn ihres Buches darauf hin, dass die Grenzen dieses Vorhabens eng waren, weil "die alte Ordnung nicht mehr und eine neue noch nicht funktioniert."
Nebenbühnen
Umso sinnvoller, den Blick auf die Nebenbühnen zu lenken, in die Salons zu schauen, die "Vorzimmer der Verhandlungsräume", in denen Frauen als Gastgeberinnen glänzten, als geistreiche und einflussreiche Beraterinnen und Spioninnen der Diplomaten und Fürsten.
"Nie zuvor oder danach hat eine Versammlung von Staatsmännern und Politikern, die einzig und allein mit Dingen des Gemeinwesens gefasst war, so weitreichend und ausschlaggebend unter dem Einfluss von Frauen gestanden."
Neben berühmten Männern
An diese Behauptung Hilde Spiels knüpft Hazel Rosenstrauch an und fragt, welche Frauen hinter, neben und vor den berühmten Männern standen. Vorgestellt werden in erster Linie prominente, gebildete, etablierte Frauen der Aristokratie sowie des Geldadels, des aufstrebenden Bürgertums, der Oberschicht also, manche "gefährlich schön", doch darauf allein kam es nicht an. Gebildet mussten sie sein, die Regeln der Gesellschaft und der Intrige kennen und, da oft selbst sehr vermögend, politische Wachheit besitzen. Das setzte voraus, dass sie Zeit hatten, all diese Tugenden herauszubilden und zu pflegen.
Geistreiche Unterhaltung
Baronin Fanny von Arnstein etwa, die als "Königin der Wiener Gesellschaft" galt, zum Zeitpunkt des Kongresses 57 Jahre alt, versammelte die preußische Partei um sich. Hundert und mehr Gäste an einem Abend wurden verköstigt und geistreich unterhalten. Oder Wilhelmine von Sagan, zweimal verheiratet und geschieden und sehr reich, wurde vom Gastgeber des Kongresses Graf Metternich, ihrem Geliebten, vom ersten Tag an über seine Pläne und die Gespräche mit den Delegierten informiert.
"Das einnehmende, so mild gütige als schwungvoll kräftige Wesen dieser schönen Dame wirkte mit siegender Macht, und es schien nur von ihr anzuhängen, auf große Entscheidungen Einfluss zu gewinnen.(K.A. Varnhagen)"
Macht der Frauen
Unterdrückt und unsichtbar waren diese Frauen nicht, weshalb sie in der feministischen Forschung bislang kaum beachtet wurden, und je höher sie in der Aristokratie angesiedelt waren, desto mehr Macht hatten sie, Anliegen und Interessen in die Verhandlungen der Herrscher und Politiker einzubringen.
Und wie es im Wien dieser Jahre von 1814/15 aussah, das für einige wenige Monate zur Hauptstadt Europas wurde, beschreibt Hazel Rosenstrauch in acht Kapiteln mit Kenntnisreichtum und Esprit.
Extravagante Unterhaltung
Die Hocharistokratie wollte mit permanentem und extravagantem Amüsement die Illusion aufrechterhalten, dass ihre Stellung in der Welt wieder stabil war, und das Volk tanzte mit. Die strengen Standesgrenzen verschwammen mitunter, denn die Teilnehmer des Kongresses amüsierten sich auch gern mit Künstlern und Handwerkern in den Vorstadtkneipen und Theatern.
"Der Walzer mit seinen 60 Takten pro Minute, als wild und unzüchtig verschrien, stieg in die oberen Schichten auf, der Zar war ihm verfallen und tanzte die Nächte durch. Dieser "bürgerliche" Tanz löste während des Kongresses die Menuette und Gavotten ab, wo immer sich die Gelegenheit bot."
Wie im Kaleidoskop
Europa neu zu ordnen, ließ Wien um gut ein Drittel seiner Einwohner anwachsen, und ein Heer von Dienstboten machte bis zu 40 Prozent der Einwohner aus; die Stadt wollte zum perfekten Veranstaltungsort werden, koste es, was es wolle. Persönliche Aufzeichnungen von Zeitzeugen, Spitzelberichte der Geheimpolizei und auch Schwarzweißabbildungen – Portraits, Stadtansichten, Kleidung – vervollständigen das höchst lebendige Bild dieser Monate wie im Kaleidoskop, das zwischen Verschwendung und Teuerung immer andere Facetten zeigt.
Annäherung vom Rande
Die Autorin ist sich durchaus bewusst, wie unterschiedlich die Ergebnisse des Kongresses in allen Ländern Europas bewertet wurden. Aus ihrer Annäherung mehr vom Rande her, unter Verzicht auf die Zentralperspektive der Geschichtsschreibung ergeben sich lohnende Fragen:
"Wie wäre das 19. Jahrhundert gewesen, wenn auch in der bürgerlichen Welt Damen die Möglichkeit gehabt hätten mitzureden – hätten die Bürger früher gelernt, mit Ambivalenzen umzugehen?"
Geschichte mit Geschichten
Sie regen zum Nachdenken an, über weiblichen Pragmatismus und Kompromissfähigkeit in einer Welt, die für eindeutige Antworten zu kompliziert geworden ist. Hazel Rosenstrauch, die 2012 mit dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik ausgezeichnet wurde, gelingt es, den Resonanzraum der Geschichte mit Geschichten auszuleuchten und die durchweg männlichen Entscheidungsträger in einem viel größeren Rahmen zu betrachten, angemessener und farbenprächtiger zugleich.
(Lore Kleinert)
Hazel Rosenstrauch, *1945 in London, englisch-österreichische Kulturwissenschaftlerin, lebt in Berlin
Hazel Rosenstrauch "Congress mit Damen"
Europa zu Gast in Wien 1814/1815
Czernin 2014, 192 Seiten, 19,90 Euro
eBook 14,99 Euro