Thomas Melle
3000 Euro
Anton hat Schulden. 3000 Euro fordert die Bank von ihm, und es wird einen Gerichtstermin geben, der alles noch schlimmer macht. Dass Anton glimpflich davonkommt, ist nicht zu erwarten, er hockt ohnehin schon am Ende der sozialen Leiter.
Von Freunden abgehakt
Über sein früheres Leben hat er irgendwann die Kontrolle verloren. Jetzt ist er mittellos, gedemütigt, apathisch, mit einem Zimmer im Obdachlosenheim, mit dreckigen Klamotten, stinkend, vom Leben ins Abseits geschubst, von Freunden abgehakt.
Überschaubare Summe
3000 Euro ist eigentlich eine durchaus überschaubare Summe, hierzulande ein Durchschnittsverdienst. Aber Anton ist raus aus der Normalität des Durchschnittlichen - warum er ganz unten gelandet ist, bleibt undurchsichtig. Er war mal gut drauf, lebte ein durchaus bürgerliches Leben, war erfolgversprechender Jurastudent, aber irgendwie hat er "Scheiße gebaut und muss die Suppe jetzt auslöffeln".
Traum vom Geld
Das sagt er zu Denise, einer Supermarktkassiererin, die eine kleine Tochter hat – sie ist verhaltensauffällig und inklusionsbedürftig. Vom Durchschnittsverdienst kann Denise nur träumen. Sie dreht nebenbei Pornos, um sich was dazu zu verdienen. Aber der Produzent zahlt nicht. Und die Männer an der Kasse glotzen, als würden sie sie alle kennen. Anton glotzt auch, aber anders. Und Denise fühlt sich auf eine merkwürdig unbestimmte Weise zu ihm hingezogen.
Weg damit
Eine Liebesgeschichte wird es nicht wirklich, es gibt auch kein Happy End, dazu beleuchtet Melles Roman zu präzise eine gnadenlose Realität, die wir vor allem in den Großstädten an jeder Ecke finden und an der wir uns gern vorbeidrücken:
"Humpeln die Penner an uns vorbei, berührt uns das unangenehm. Nicht nur ist es eine ästhetische Belästigung, sondern auch ein moralischer Vorwurf. Wieso bitte ist dieser Mensch so tief gesunken, welche Gesellschaft lässt einen derartigen Verfall zu? … Die Gesellschaft ist im Grunde nicht böse. Und das Gesicht, das einen angeblickt hat, verschwimmt zu comicartiger Versoffenheit, zu einer Karikatur seiner selbst. Weg damit."
Keine Gnade
Denise und Anton stehen für die dunkle Seite unserer Konsumgesellschaft, für den Blick von unten nach oben, für verlorene Träume und den unerbittlichen Kampf um die Existenz, um Anerkennung und Liebe. Um Würde vor allem. Überall lauern Fallen, es gibt keine Gnade für den, der erst aus- und dann abrutscht. Aber Denise gibt nicht auf und Anton findet sich ab, scheinbar zumindest, versinkt in einer Art Dämmerzustand.
Begrenztes Mitleid
Mitleid gibt es in diesem Roman nur begrenzt, denn Gefühle sind eigentlich verboten in dieser Welt des Abstiegs. Und doch sind die Figuren liebevoll genau gezeichnet, man spürt Empathie zwischen den Zeilen, ahnt ihre kleinen Fluchten und großen Hoffnungen in einer Welt, in der sie sich einrichten müssen - trotz aller sozialen Schutzlosigkeit und emotionalen Bedürftigkeit. Und irgendwie schaffen sie es – zumindest zeitweise.
(Christiane Schwalbe)
Thomas Melle, *1975 in Bonn, Schriftsteller und Autor von Theaterstücken, lebt in Berlin
Thomas Melle "3000 Euro"
Rowohlt Verlag 2014, 208 Seiten, 18,95 Euro
eBook 16,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Thomas Melle: Die Welt im Rücken