Mark-Stefan Tietze
Allein unter Veganern
Expedition in eine neue Welt
Das muss erst mal einer nachmachen: 100 Tage veganes Leben, mit allem Drum und Dran, kompromisslos, was fleischliche Gelüste angeht, einfach so, um den Trend zu verstehen, der umgeht in Deutschland. Dabei ist Mark-Stefan Tietze bekennender Fan all' der Produkte, die ein Veganer kategorisch vom Speiseplan streicht.
Knusprige Spiegeleier
"Ich esse wahnsinnig gern Fleisch … ich mag auch Sahnejoghurt mit Honig unvorstellbar gerne, Eiscreme in allen Spielarten, Honig auf Brötchen mit frischer Butter sowieso und … ein paar knusprige Spiegeleier oder eine große Pfanne Rührei."
Kann das gutgehen? Oh ja, und es liest sich nicht etwa schmerzlich oder klagend, sondern überaus humorvoll und informativ, was der Autor da inmitten des trendigen Frankfurter Stadtteils Bornheim, auch "lustiges Dorf" genannt, alles erlebt. Natürlich gehört ein "praktischer Leitfaden durch den veganen Alltagsdschungel" dazu und – wunderbarerweise um die Ecke ein veganer Supermarkt, der sich langsam aber sicher überall in Deutschland und zunehmend auch in Europa ausbreitet.
Der Blick auf Zutatenlisten
Vegan zu leben bedeutet: schlank und gesund zu werden, praktisch wie von selbst. So einfach ist es natürlich nicht, vor allem, wenn man vom Fleisch auf vegane Fleischersatzprodukte umsteigt, die fett und überwürzt sind und alles andere als gesund. In einen konsequenten Veganer verwandelt man sich weder in 100 Tagen noch ohne Mühe, auch wenn es genügend Versprechungen dieser Art gibt. Ernährung wird für Tietze buchstäblich zum Lebensinhalt, nebenbei futtern gibt’s nicht mehr. Jetzt werden Zutatenlisten studiert und Webadressen geprüft, Rezepte ausprobiert und verworfen – und sogar Freundschaften im Netz geschlossen. Dagegen hatte sich der Journalist und frühere Titanic-Redakteur standhaft geweigert.
Mehr Komponenten
Er kommt dabei nicht nur den Vorurteilen gegen Veganer auf die Spur, sondern auch ihren Spinnereien, ebenso wie den echten Vorteilen dieser Ernährungsweise, wenn sie denn nicht einseitig dogmatisch motiviert sind. Und er entdeckt leckere Rezepte:
"Zu Pfingsten habe ich grünen Spargel mit Olivenöl, Fleur de Sel und Balsamico im Backofen gegart und mir dazu geräucherten Sesam-Mandel-Tofu, Kartoffelspalten sowie ein rotes Zwiebelconfit serviert."
Dieses Gericht gerät kulinarisch genauso überzeugend, wie Soccas (Pfannkuchen aus Kichererbsenmehl) - "sehen nicht nur überwältigend aus, sondern schmecken auch so" – oder Süßkartoffel-Auberginen-Curry. So hangelt sich Tietze von Erfahrung zu zu Erfahrung, die vor allem darin liegt, dass "eine gute vegane Mahlzeit mehr Komponenten braucht …"
Schlechtes Gewissen
Zum veganen Kochen gehört erfahrungsgemäß deutlich mehr Einfallsreichtum und die Kenntnis von Produkten. Auch das ist auf der Expedition in eine neue Welt eine Erkenntnis von Tietze, der schließlich zu der Einsicht kommt:
"Wenn Sie sich beim Verzehr tierischer Produkte öfters mal bei einem schlechten Gewissen ertappen, dann sollten sie einfach keine mehr essen oder jedenfalls entschieden weniger davon. Zweitens: Auch sonst ist es gut, einfach mal irgendwas im Leben anders zu machen, das reinigt die Seele und entschlackt den Gedankenapparat." Das ist ernst gemeint.
Bei der Aufforderung "Essen Sie unbedingt mehr Cashewkerne, ich selber gebe sie mittlerweile zu allem … sie besitzen, wie die Indios wissen, magische Kräfte, die uns direkt mit den Göttern verbinden" darf man berechtigte Zweifel haben. Aber wer weiß, vielleicht sind Cashewkerne das neue Maggi.
Wie auch immer – Tietze verabschiedet sich nach seinem Selbstversuch in Richtung Flexitarismus. Eine gute Entscheidung.
(Christiane Schwalbe)
Mark-Stefan Tietze *1966 in Siegen, Journalist, Satiriker und Kolumnist, lebt in Frankfurt-Bornheim
Mark-Stefan Tietze "Allein unter Veganern" Expedition in eine neue Welt
Rowohlt Berlin 2016, 16,99 Euro
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