Büke Schwarz
Jein
Elâ ist Preisträgerin einer Kunststiftung und darf gemeinsam mit drei anderen jungen Künstlern eine Gemeinschaftsausstellung entwickeln. Sie macht sich Sorgen, denn das könnte kompliziert werden „Künstler können so nerven!“
Die „Halbtürkin“
Die vier einigen sich schnell auf den Ausstellungstitel „Jein“, der ihnen viel Freiraum bietet. Elâ ist unsicher, ob sie ihren eigenen und den Ansprüchen der anderen gerecht werden kann. Vor allem will sie nicht auf ihre türkischen Wurzeln reduziert, sondern wegen ihrer Kunst anerkannt werden. Sie hat einen deutschen Pass, wird aber wegen der Herkunft ihrer Eltern immer wieder genötigt, türkische Politik zu kommentieren. Das Referendum über die zukünftige Rolle des Präsidenten in der Verfassung steht bevor, und die Stimmung unter Türken und Deutschen türkischer Herkunft in Berlin ist aufgeheizt. In einem Interview zur Ausstellungseröffnung wird Elâ auch gefragt, ob die politische Entwicklung in der Türkei ihre künstlerische Arbeit beeinflusse. Sie zögert und windet sich, doch als es um die Kultur geht, fällt der Satz: „Als Künstlerin kann ich kein Fan von jemandem sein, für den Freiheit ein Fremdwort ist.“ Alle sind entsetzt und sorgen sich, nicht mehr in die Türkei reisen zu können, sie wird sogar von Erdo?ananhängern verfolgt.
Evet oder Hay?r
Die Mutter beobachtet, wie alle Menschen mit türkischen Wurzeln, das Referendum ganz genau, mit Evet/Ja würde das Präsidialsystem gestärkt, Hay?r/Nein bedeutet, dass das System bleibt, wie es ist. Elâ kümmert sich währenddessen weiter um die Ausstellung. Doch die Frage, welchem Land sie sich zugehörig fühlt, wird immer drängender: Bei der Vernissage taucht neben Mutter und Stiefvater plötzlich auch ihr Vater aus Istanbul auf und will sie zu einer Karriere in seiner Heimat überreden, sie müsste sich doch einfach nur an die unausgesprochenen Regeln halten.
Jein
Der Titel der Graphic Novel - zugleich Titel der Ausstellung - macht die Zerrissenheit der Protagonistin deutlich. Warum ist es in der deutschen Gesellschaft nicht selbstverständlich, mehrere Identitäten zu haben? Diese Frage illustriert die Graphic Novel sehr überzeugend. Büke Schwarz erzählt die Geschichte in schlichten grauen Tuschezeichnungen. Sie verzichtet weitgehend auf Farbe, abgesehen von den Kapitelanfängen, dennoch wirken die Szenen überaus authentisch, auch wegen der lebendigen Dialoge. Die Überschriften sind jeweils Türkisch und Deutsch und auch in die Sprechblasen sind immer wieder türkische Sätze oder Begriffe eingefügt. Ungewöhnlich ist der Beginn der Story - ganz schwarz: Wir sitzen nämlich im Briefkasten, den Elas Freund irgendwann öffnet - und die Geschichte beginnt.
Kunst und Politik
Beeindruckend ist die Szenenfolge, in der Ela ein Bild nach dem anderen um sich herum zieht, als würde sie sich damit einwickeln, um zu verschwinden - es bleibt auf dem letzten Bild nur ein zerknülltes Papierknäuel übrig. Für sie ist eine Welt zusammengebrochen: Die Türkei wird in einen autokratischen Staat umgewandelt, sie hat das Gefühl, dass alles, auch ihre Kunst, sinnlos, ist. Die türkische Politik ist eindeutig illustriert: Erdo?an in der Mitte der Seite und in kleinen Bildern um ihn herum seine Anhänger, die auf den Knien liegen und die türkische Flagge schwenken. Die vier jungen Künstler präsentieren sich auf der Vernissage für ein Foto, die Buchstaben auf ihren T-Shirts ergeben das Wort: HERO, also Held - der Freund des Vaters liest darin allerdings eine gängige Abkürzung für die Gülen Bewegung.
Hilfreich ist in diesem Zusammenhang das Glossar mit Hinweisen auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge in der Türkei und die „echten“ Künstler, die hinter den Figuren stecken. Ein gelungenes Debüt, das autobiografische Züge trägt und vermutlich vielen Menschen aus dem Herzen spricht, die mit zwei Kulturen aufwachsen.
(Iris Knappe)
Büke Schwarz, *1988 in Berlin, Studium Bildende Kunst mit den Schwerpunkten Malerei und Grafik in Berlin und London.
Büke Schwarz „Jein“
Klappenbroschur mit Hochprägung
Jaja Verlag 2020, 232 Seiten, 24 Euro