Mark Billingham
Was dich nicht umbringt
Sommer 1996: Zwei siebenjährige Jungen spielen Verstecken, doch nur Josh kehrt aus dem Wäldchen zurück. Ihre Mütter haben sie nur kurz aus den Augen verloren, Cat Coyne gibt Maria, Joshs Mutter, die Schuld für ihre Unaufmerksamkeit.
Vorschnelle Lösungen
Verzweifelt sind beide, denn Kieron bleibt verschwunden. Tom Thorne, Mark Billingshams Serienheld seit zwanzig Jahren, ist in diesem Prequel noch ein junger Detective Sergeant, dem seine Scheidung und der Verkauf des gemeinsamen Hauses bevorstehen. Bilder eines seiner Fälle, mit toten Kindern, verfolgen ihn, denn er hat nicht auf seinen Instinkt vertraut und das Verbrechen nicht verhindern können. Sein Vorgesetzter ist einfältig, korrupt und neigt zu vorschnellen ‚Lösungen‘, und Thorne steht unter Hochspannung.
„Es hatte nie zu Thornes Stärken gezählt zu wissen, was gut für ihn war – zumindest den Job betreffend. Was ihn umtrieb, war die Frage nach den praktischen Konsequenzen.“
Vorurteile und Ängste
Zu Zeiten des Premiers John Major wird in den Pubs noch geraucht, die Fußball-Europameisterschaft schlägt alle Männer in den Bann, und die ersten tragbaren Telefone kommen auf. Mark Billington schildert diese Zeit detailreich und glaubwürdig, und vor allem die Vorurteile und Ängste sind zahlreich und beeinträchtigen nicht nur die Polizeiarbeit.
Ein drogenabhängiger Nachbar Cats, der Mutter des verschwundenen Kieron, gerät in Verdacht – und wird ermordet aufgefunden. Polizeiversagen? Thorne gerät immer mehr in Opposition zu seinen Kollegen und findet erst in Dr. Phil Hendricks, dem gepiercten und tätowierten Pathologen, der für ihn „wie ein Rausschmeißer bei einem Sisters-of-Mercy-Konzert“ aussieht und in der gesamten Reihe eine wichtige Rolle spielen wird, einen Verbündeten.
„Andersartigkeit können die Leute nicht ertragen, Detective. Vielleicht haben sie aber auch nur Angst, wer weiß? Sie hassen Menschen mit anderer Hautfarbe, sie hassen Frauen…immer geht es darum, andere zu hassen, nicht wahr? Das ist die Wurzel von allem. Homophobie ist ein gutes Beispiel.“
Gegen den Instinkt
Wie sich die Beziehung dieser beiden unterschiedlichen Männer anlässt, gehört zu den amüsanten Aspekten dieses Kriminalromans. Die verschiedenen Perspektiven des Romans, die der Mütter etwa, des Vaters im Knast, dessen Vaterschaft sich als falsch herausstellt, und auch der beiden Jungen steigern die Spannung und sorgen zugleich für psychologischen Tiefgang. Einziger Hinweis: Der Zeuge Felix Battat sah als einziger, dass Kieran Coyne in ein rotes Auto stieg, mit einem Mann, den er offenbar kannte.
Thorne kämpft mit seinen eigenen Dämonen, weil er nie wieder gegen seinen Instinkt verstoßen will, denn sein damaliges Versagen verfolgt ihn bis in seine Träume, und seine gescheiterte Ehe untergräbt sein Selbstbewusstsein. Ein kluger Einfall des Verlags, den Polizeioffizier nach vier Bänden als noch jüngeren Ermittler vorzustellen, obwohl der Autor diesen Band erst als 17. seiner Serie schrieb. Ein gelungener Start für Mark Billinghams britischen Helden Tom Thorne, auf dessen weitere Entwicklung man gespannt sein kann!
(Lore Kleinert)
Mark Billingham, *1961 in Solihull/Birmingham, englischer Schauspieler, Stand-Up-Comedian im englischen Fernsehen und Autor von Kriminalromanen, lebt in London
Mark Billingham „Was dich nicht umbringt“
aus dem Englischen von Stefan Lux
Thriller, Atrium Verlag 2021, 445 Seiten, 22 Euro
eBook 17,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Mark Billingham
"Love like Blood"