Tomer Gardi
Eine runde Sache
Preis der Leipziger Buchmesse 2022
Alles beginnt mit einem „Stück Salzgürke", das „von meiner Brot auf dem Boden" fällt. Was dramatisch wird, als der Intendant darauf ausrutscht und „auf seiner Arsch" landet. Eine groteske Szene, die sich nach der Eröffnung eines Theaterfestivals abspielt – Geschichte Nr. 1
Broken German
Tomer Gardi schreibt sie in „broken german", einer Sprache, die er, wie andere, die eingewandert sind, bestens beherrscht: Ein fehlerhaftes, aber verständliches Deutsch, das Komik garantiert und von ihm erstmals beim Bachmann-Wettbewerb 2016 in einem Text vorgetragen wurde.
Der Ich-Erzähler und jüdische Autor Tomer Gardi verwechselt die Einladung auf eine „Yacht" mit der Teilnahme an einer Jagd - mit ihm als Gejagtem. Er kann fliehen, rettet sich auf einen Baum, unter dem Rex, ein deutscher Schäferhund, auf ihn lauert. Tomer überwältigt ihn mit Hilfe einer Silikon-Vagina, die er ihm übers Maul zieht. Weshalb Rex plötzlich sprechen kann, dies aber nur schwer verständlich:
„Ün Ülünd üst düs. Was ist das, Rex ? Ich versteh dich nicht. Ün Ülund, vürdümmt! Ach, ein Elend! Ürschlüch. Südüst."
Wilde Odyssee
Als wäre das noch nicht abstrus genug, begegnen Hund und Autor auch noch einem in Reimen sprechenden Erlkönig, der sich ihnen anschließt. Eine Assoziation jagt die nächste in diesem Spiel mit deutschen Mythen und Klischees, in dem der deutsche Schäferhund den ewigen Juden trifft und sie gemeinsam mit Erlkönig mit "langem weißen Bart und buschige Augenbraune" weiterziehen. Eine wilde Odyssee beginnt, vom deutschen Wald in eine deutsche Kleinstadt bis hin zu Sintflut und Arche, auf der der erschöpfte Gardi keinen Platz findet, sich aber an der Bordwand festkrallen kann:
„Wer weißt, wie lange wir die Wellen ritten, ich bestimmt nicht. Mythische Zeit vergeht ja ganz anders, hat seine eigene Regel und Gang. Was ich nun weiß ist dass in irgend ein Zeit auser Zeit nahm das Wasser ab."
Und spült Gardi alias Gardi zurück in die Stadt und ins Theater, wo ihn der Intendant schon erwartet. Der Kreis schließt sich, Runde Sache Nr. 1
Stilbewusster Bohèmien
Geschichte Nr. 2 beleuchtet Kultur, Anpassung und Identität in perfektem, aus dem Hebräischen (Gardis Muttersprache) übersetzten Deutsch und erzählt das Leben des in Vergessenheit geratenen indonesischen Malers Raden Saleh, geboren 1811 auf der Insel Java. Das Mittel der Darstellung machtvoller Symbole und alltäglichen Lebens war damals die Malerei. Saleh darf in den Niederlanden studieren, reist, ausgestattet mit Empfehlungsschreiben und der Zusage für ein üppiges Stipendium mit dem Schiff nach Den Haag. Dort wächst er hinein ins bunte Leben eines bewunderten und geschätzten Exoten, der zwar immer ein Fremder bleibt, sich aber zum stilbewussten Bohèmien entwickelt und schließlich als Prinz von Fürst zu Fürst und König zu König quer durch Europa weitergereicht wird. Dabei malt er idyllische Familienbilder ebenso wie dramatische Jagdszenen und lernt, nicht nur die Realität, sondern zunehmend auch die eigene Fantasie in beeindruckende Bilder umzusetzen.
Fremder im eigenen Land
Während man den Hofmaler des niederländischen Königs in Europa noch hofiert, wird in seiner Heimat die Unterwerfung durch die Kolonialherren zunehmend brutaler. Ein neues Bepflanzungsprogramm tritt in Kraft, und statt auf eigenem Land müssen die Einheimischen nun auf Plantagen schuften, um die Gier der Europäer nach Zucker, Kaffee, Tee und exotischen Gewürzen zu befriedigen:
„Bei den ... verwüsteten Feldern handelte es sich meist um Reisfelder; und gerade die machten für ihre Besitzer den Unterschied zwischen Sattheit und Hunger aus. Wer kein Land besaß, den verpflichtete die niederländische Kolonialregierung zu einem Frondienst von sechsundsechzig Tagen im Jahr auf ihren eigenen Ländereien ... und die ganze Insel wurde im Grunde zu einer riesigen niederländischen Plantage."
Als Raden Saleh schließlich zurückbeordert wird in die Heimat, ist er hier wieder ein Exot, aber ein unwillkommener. Diesmal muss er lernen, wie schmerzhaft es ist, als Fremder im eigenen Land zu leben. Der Kreis schließt sich auch hier.
Ein Schelmenstück
Im Kern geht es um eigene und fremde Sprache und ihre enge Verknüpfung mit Kultur und Identität, Heimat und Fremde, Rassismus und brutale Kolonialpolitik. Gardi überspitzt vor allem die erste Geschichte bis zum Slapstick, seine Fantasie ist offensichtlich grenzenlos in der Erfindung komischer Konstellationen und unvorhersehbarer Situationen. Ein in jeder Beziehung unkonventionelles Buch, das einlädt zu vergnüglicher Lektüre und vielfältigen Interpretationen, ein „Schelmenstück", wie es in der Begründung der Jury heißt, „so kunstvoll wie dreist." Und auch ein bisschen durchgeknallt.
(Christiane Schwalbe)
Tomer Gardi, *1974 im Kibbuz Dan in Galiläa/Israel, israelisch-deutscher Autor, mehrfach ausgezeichnet, lebt in Berlin
Tomer Gardi „Eine runde Sache"
zur Hälfte aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer
Roman, Literaturverlag Droschl 2022, 256 Seiten, 22 Euro
eBook 18,99 Euro