Irene Vallejo
Elyssa
Königin von Karthago
„Was mögen das für Männer sein, die da gegen den Sturm ankämpfen, während das Meer über ihre Köpfe hinwegfegt? Vertriebene, so wie wir? … Woher weiß man, wann man weit genug geflohen ist?“
Prophezeiung
Nach Trojas Untergang flieht Aeneas mit seinem kleinen Sohn Iulus und seinen Kriegern aus der zerstörten Stadt, in der Hoffnung, irgendwo ein neues, friedlicheres Leben zu begründen, wie es ihm eine Prophezeiung verheißt. Als er vor der Küste Karthagos Schiffbruch erleidet, nimmt ihn die Herrscherin Elyssa, selbst vor ihren blutdürstigen Brüdern geflüchtet, mit Freundlichkeit auf. Soll er sein Schicksal an das ihre knüpfen, das einer Frau in einem Universum neidischer Männer, für die die Trojaner Fremde bleiben? Irene Vallejo verwebt die Stimmen der beiden legendären Gestalten mit denen der jungen Halbschwester Elyssas, Anna, deren Sehnsucht nach einem neuen Anfang von einer guten Beobachtungsgabe und der Zuneigung zum Sohn des Aeneas gespeist wird.
Ewig jung
Auch der Gott der Liebe Eros spiegelt das Geschehen: weil Karthago vor neuen kriegerischen Konflikten und inneren Machtkämpfen steht, liegt auf der Liebe der Königin und des Helden ein Schatten, dem nicht einmal ein spielerischer und erfindungsreicher Gott gewachsen ist, der seine Grenzen kennt:
"Die Götter kennen kein Abenteuer. Uns passiert nie etwas, wir sind ewig jung, wir verändern uns nicht, wir gehen keine Risiken ein, wir existieren in einem erstickenden Gleichgewicht, wie blasse Wesen, ohne Morgen und zufrieden mit uns selbst."
Die Menschen jedoch sind anderen Zwängen unterworfen, und das bringt Irene Vallejo auf ihrer Reise in die Mythen einer Vergangenheit, die unsere Gegenwart noch immer erhellt, zum Klingen. Vor allem bringt uns ihr Roman den Wert der Sprache, des Erinnerns nah, er ist eine Hommage an die Kunst des Geschichtenerzählens. Der Zauber der festgehaltenen Wörter breitete sich aus und wurde zum bedeutenden Bann gegen das Vergessen.
Niederlage und Leid
Jahrhunderte später nach der Staatsgründung Roms, die dem Helden Aeneas zugeschrieben wird, muss der Dichter Vergil seine Sprache wiederfinden. Auf Befehl des Kaisers Augustus soll er die Geschichte, wie Rom entstand, als großes Heldenepos erzählen, doch seine schriftstellerische Phantasie entzieht sich den kaiserlichen Anweisungen, wie Macht untermauert werden muss. Erst als er erkennt, dass am Ausgangspunkt einer großen Geschichte immer die Niederlage und das Leid steht, sieht er sich in der Lage, die Kriege und Konflikte vergangener Zeiten und den Glanz neuer Anfänge in wahrhaftige Worte zu fassen. Gott Eros hat das längst vermutet:
„Manchmal hege ich den Verdacht, dass es zwischen zwei Fähigkeiten, die wir an den Menschen am meisten bewundern, eine tiefe Verbindung gibt: ihrem Geschick im Erfinden von Geschichten und ihrer Fähigkeit zu lieben.“
Brücke in die Gegenwart
Menschen brauchen Geschichten, doch die Autorin weiß, dass Gewalt, Mitleid, Schicksal oder Glück immer neue Geschichten hervorbringen, aus denen nicht unbedingt etwas gelernt wird. Schon der legendären Helena wurden vom Homer (Ilias Buch VI) die Worte in den Mund gelegt, „Damit wir auch später noch Liedstoff sind den künftigen Menschen“; Vergil entdeckt, dass das Leid der Menschen in allen Zeiten Stoff von Liedern war und sein wird. In einer kreisenden Bewegung fängt die Autorin Motive ein, die die Menschen begleiten und faszinieren, seit es die großen Erzählungen gibt. Ihr Roman über Krieg, Exil, Liebe und Enttäuschung in längst versunkenen Zivilisationen baut eine wohlformulierte Brücke in unsere gegenwärtige Zeit.
„Kriege geraten in Vergessenheit, aber Lieder überdauern. Nur ein Gedicht kann noch vom Schmerz der Besiegten erzählen, vom Los der Opfer unaufhaltsamer Ereignisse, aus denen sich die Geschichte formt. Jene, die wir heute Helden nennen, waren einst vom Unglück Geschlagene.“
(Lore Kleinert)
Irene Vallejo, *1979 in Saragossa/Spanien, Autorin von Romanen und Kinderbüchern, lebt in Saragossa
Irene Vallejo „Elyssa" Königin von Karthago
aus dem Spanischen von Kristin Lohmann und Luis Ruby
Roman, Diogenes Verlag 2024, 320 Seiten, 25 Euro
eBook 21,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Irene Vallejo
Papyrus - Die Geschichte der Welt in Büchern