Elena Ferrante
Zufällige Erfindungen
„Ich war geschmeichelt und ängstlich zugleich. Mit so etwas hatte ich keine Erfahrung, und ich fürchtete, es nicht zu können.” Elena Ferrante zögerte, als ihr der britische Guardian anbot, eine wöchentliche Kolumne zu schreiben.
Exemplarische Erfahrungen
Die kleine Form – eine ungewohnte Aufgabe für die Autorin der vierbändigen Romantrilogie “Meine geniale Freundin”. Aber als vereinbart wird, ihr jeweils eine Reihe von Fragen zu stellen, sagt sie zu:
„... bei der Arbeit für den Guardian überwog die zufällige Kollision des redaktionell vorgegebenen Themas mit der Eile des Schreibens ... Diese Texte sind beim raschen Durchstöbern meines Gedächtnisses auf der Suche nach kleinen, exemplarischen Erfahrungen entstanden.”
Erfahrungen als Frau, Freundin, Feindin, Autorin, Mutter und Italienerin. Elementar ist für sie das Bedürfnis des Schreibens, dem sie leidenschaftlich gern folgt, kaum dass sich ein Gedanke in ihrem Kopf festgesetzt hat. Augenzwinkernd gesteht sie schlechte Gewohnheiten ein, auch, dass Rauchen die einzige Abhängigkeit ist, mit der sie sich auskennt, Schlaflosigkeit sie immer dann überfällt, wenn sie ein Buch zur Hand nimmt - egal, ob ein gutes oder ein schlechtes - und sie eine Party meist als Letzte verlässt, weil sie sich nicht gern von Menschen verabschiedet.
Nachrichtenchaos im Kopf
Sie nimmt die inflationäre Verwendung von Auslassungspunkten ... unter die Lupe und sinniert über die heutige Nachrichtenflut, die kaum noch zu bewältigen ist und eher zu Verwirrung denn Klarheit im Kopf führt.
„Gute Romane bedienen sich der Lüge, um die Wahrheit zu sagen. Im harten Kampf um Einschaltquoten tendiert auch der Nachrichtenmarkt zunehmend dazu, die unerträglichsten Wahrheiten in romanhafte, spannende, genießbare Lügen umzuformen.”
Auch mit ihrer eigenen Rolle in der Öffentlichkeit setzt sie sich auseinander. Neugierige Journalistenfragen beantwortet sie aus gutem Grund nur schriftlich - nicht nur, um ihre Anonymität zu wahren:
„Der Journalist denkt ein wenig nach und schreibt mir seine Fragen, ich denke ein wenig nach und schreibe ihm meine Antworten.”
Stärken und Schwächen
Ferrante schreibt dicht und präzise, wägt auch in der für sie ungewohnt kurzen Form der Kolumne sorgfältig Für und Wider ab und schaut selbstironisch auf die eigenen Schwächen. Auf Fotos oder Videos gefällt sie sich grundsätzlich nicht – bis sie ein hübsches Kinderfoto wiederfindet und es ins Regal stellt. Nahezu traumatisch ist es zunächst, wenn ihre Romane verfilmt werden und ihnen
„die literarische Hülle weggerissen (wird). Am liebsten würde ich sagen: Lassen wir das, ich glaube, mein Roman ist ungeeignet.”
Bis sie sich dann doch mit dem Drehbuch anfreundet. 52 kluge, feinsinnige und nachdenkliche Texte über Glück und Talent, Feindschaften und Freundschaften, Frauen und Männer, die Liebe und das Krötenschlucken und über das Lachen als ein „kurzer Seufzer der Erleichterung.” Eine vergnügliche Lektüre, an der die wunderbar pointierten und minimalistischen Illustrationen von Andrea Ucini wesentlichen Anteil haben.
(Christiane Schwalbe)
Elena Ferrante ist das Pseudonym einer anonymen Bestsellerautorin, die in Neapel geboren ist und als wichtige Vertreterin zeitgenössischer italienischer Literatur gilt.
Elena Ferrante „Zufällige Erfindungen"
aus dem Italienischen von Katrin Krieger
Suhrkamp 2021, 219 Seiten, 20 Euro
eBook 16,99 Euro
Weitere Buchtipps zu Elena Ferrante, alle bei Suhrkamp:
"Das lügenhafte Leben der Erwachsenen"
"Tage des Verlassenwerdens"
"Frantumaglia" - Mein geschriebenes Leben
"Frau im Dunkeln"
"Lästige Liebe"
"Die Geschichte des verlorenen Kindes" Band 4 - der Neapolitanischen Saga
"Die Geschichte der getrennten Wege" Band 3 - Erwachsenenjahre
"Die Geschichte eines neuen Namens" Band 2 - Jugendzeit
"Meine geniale Freundin" Band 1 - Kindheit und frühe Jugend