Nele Pollatschek
Kleine Probleme
Lars ist 49, angehender Schriftsteller - meint er jedenfalls – Familienvater und ein genialer Chaot. Zumindest ist er ein Chaot – ob genial, wird er erst beweisen müssen an diesem 31. Dezember, einem Tag, der grau in grau und mit Nieselregen beginnt und so gar nicht dazu animiert, wichtige Aufgaben noch im alten Jahr zu erledigen.
Besser morgen
Und es gibt noch einiges zu tun: Müll wegbringen, Wohnung putzen, Bett der Tochter aufstellen, Steuerklärung machen, am Buch weiterschreiben ... ziemlich viel für einen einzigen Tag. Das denkt auch Lars und denkt gleich nochmal zurück an den Hauskauf, damals, und dann an die Zukunft und den Klimawandel ...
„Ich musste oft noch was erledigen, meistens morgens, manchmal aber auch später oder nächste Woche oder demnächst. Das Problem ist, dass es meistens nicht später war, sondern eben jetzt, und jetzt rauchte ich noch eine Zigarette, starrte auf mein Telefon, wischte dem Weltuntergang hinterher ... ging nochmal eben aufs Klo, machte schnell noch einen Kaffee, bevor ich dann gleich anfing, also bald, also nachher, also vielleicht doch besser morgen, es war ja auch schon spät.”
Weil er dauernd grübelt statt zu machen, weil Ideen ihm wichtiger sind als Ordnung, weil er seine Zeit eigentlich lieber mit Schreiben als mit Putzen verbringt und ansonsten der Prokrastination huldigt, dem Aufschieben auf den nächsten oder übernächsten oder irgendeinen Tag, geht es einfach nicht voran. Also bleiben Zigarettenkippen, Pizzakartons und Kaffeebecher wo sie sind.
Es gut machen
Zu seinen Aufgaben gehört leider noch viel mehr: Geschenke einpacken, Nudelsalat, Feuerwerk, Regenrinne, Lebenswerk, Johanna (seine Frau), mit dem Rauchen aufhören. Es gut machen. Insgesamt 13 Punkte sind abzuarbeiten. Darüber denkt er nach, immer wieder, raucht eine, fängt an, hört wieder auf ... beim Lesen möchte man ihm am liebsten einen Tritt geben, damit er endlich in die Gänge kommt. Natürlich ist es ein Unding, alles Unerledigte an einem letzten Tag des Jahres aufzuarbeiten. Geht bei Lars sowieso nicht, weil er zwischendurch lange Denkpausen braucht – in denen die Zeit wieder einmal nutzlos verrinnt und der Dreck liegen bleibt:
„In Wahrheit klebt immer alles. Überall. Und dann müsste man putzen, und dann müsste man aufräumen. In der Küche müsste man dann aufräumen, im Wohnzimmer müsste man aufräumen, oben im Arbeitszimmer unterm Dach, wo man ja eigentlich sein Lebenswerk verfassen will, müsste man ganz ordentlich aufräumen, im Schlafzimmer ... wenn man jetzt tatsächlich hinsähe, dann müsste man das ganze Leben aufräumen."
Und zum Beispiel seine Ehe retten. Seine Frau hat ihn allein gelassen, sie hat die Nase voll von Lars, der nichts auf die Reihe bringt.
Johanna sagt
„Ich brauch eine Pause, Lars, ich habe eine Wohnung in Lissabon. Sabbatjahr. Also erst mal sechs Monate, und dann schauen wir."
Lieber doch später
Angesichts der umfangreichen Aufgabenliste, die Nele Pollatschek dem durchaus bedauernswerten Lars aufhalst, ist jeder Versuch eines sinnvollen Zeitmanagements zum Scheitern verurteilt. Immerhin: Die Autorin läßt ihn die Liste abarbeiten, Kapitel für Kapitel, dabei ununterbrochen vor sich hin monologisierend - sehr zum Vergnügen der Leser und Leserinnen, die das eine oder andere Déja Vu haben dürften. Denn hinter lockeren Sprüchen, herbeigezerrten Ausreden, tiefsinnigen Gedanken und abgründiger Traurigkeit steckt immer auch die Philosophie, wie man es im Leben richtig anstellen müsste, um Wünsche, Träume und die bittere Alltagsrealität unter einen Hut zu bringen. Schwer. Aber eine überaus leichte, heitere und bisweilen urkomische Lektüre!
(Christiane Schwalbe)
Nele Pollatschek, *1988 in Berlin, Studium Englische Literatur und Philosophie, schreibt für die Süddeutsche Zeitung, erhielt 2022 den Deutschen Reporterpreis.
Nele Pollatschek "Kleine Probleme"
Roman, Galiani Berlin 2023, 208 Seiten, 23 Euro
eBook 19,99 Euro