Usama Al Shahmani
Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt
Dafer Schiehan ist Iraker und lebt in der Schweiz. Er liebt die Natur und geht gern wandern. Er hat deutsch gelernt, einen Job in einem Restaurant bekommen, eine Wohnung gefunden. Seine Familie lebt weiterhin im Irak. Dafer Schiehan ist Flüchtling.
Zeit für Erinnerungen
Ein Flüchtling, der sich integriert hat, der zu vergessen versucht, was er in seiner Kindheit und Jugend erlebte: Gewalt, Unterdrückung und Zerstörung in einem Land, in dem Andersdenkende und Kritiker verfolgt und verhaftet wurden – auch nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein. Dafer Schiehan ist Akademiker, er hat studiert und ein Theaterstück geschrieben, das ihn zum Verfolgten machte und zur Flucht zwang. Das ist 22 Jahre her, er hat es geschafft, eine neue Heimat zu finden. Zumindest auf den ersten Blick. Denn Erinnerungen lassen sich nicht verdrängen und als Dafer „Zwangsferien" bekommt, weil das Restaurant umgebaut wird, gibt er ihnen Zeit und Raum:
„Er erinnert sich an seine Jugend, als er gegen sich selbst Schach spielte ... Sein Gegenüber kannte er nicht. Mal gab er ihm die schwarze, mal die weiße Farbe ... In seinem Rücken saß manchmal Großmutter und sah ihm zu. Es kommt ihm vor, als sei es gestern gewesen ..."
Er erinnert sich auch an ihre Freundin Aschuak, die gebildet war, das Haar kurz trug, mit dem Auto fuhr und eine Apotheke besaß, die sie plötzlich verkaufen wollte. Und er fragt sich, ob es wohl die schön verzierte Schachtel noch gibt, gefüllt mit achtundzwanzig aus Holz geschnitzten arabischen Buchstaben, mit denen sie Großmutter Lesen und Schreiben beibringen wollte. Aber sie starb als Analphabetin.
Poetische Sprichwörter
Dafer träumt sich zurück ins Haus seiner Familie in Bagdad.
„Am neuen Tisch lernte er die Buchstaben des arabischen Alphabets schreiben. Aber schon vor seinem zweiten Schuljahr verlor er ihn wieder. ... Unser Prophet saß auf dem Boden. Wir folgen seinen Schritten, denn nur so können wir mit gutem Gewissen vor dem Jüngsten Gericht des lieben Gottes stehen."
Und so verschwand der Tisch, stattdessen wurde ein großes Esstablett gekauft und am Boden gegessen.
Usama Al Shamani findet wunderbar poetische Titel für seine Bücher – „Im Fallen lernt die Feder fliegen" und „In der Fremde sprechen die Bäume arabisch" sind arabische Sprichwörter, und damit angereichert sind auch seine Geschichten, die von Flucht, Asyl und Exil erzählen und deutlich autobiografisch gefärbt sind.
... die Erinnerungen an seine alte Heimat sind manchmal ein einziges Trümmerfeld voller Horror und Angst, voller Soldaten mit Waffen und geheimnisvollen Gesichtern, Lehrern mit Pistolen am Gurt."
Angekommen in einem anderen Land, das Schutz bietet und eine neue Existenz ermöglicht, sind es bedrückende Erinnerungen an das Leben zwischen den Kulturen, die Einsamkeit, das Warten, das Nichtstun, der Verlust der einen und die Suche nach einer anderen Heimat, die Fallstricke des Asylgesetzes, der Aufenthalt im „Bunker", wie er eine Asylunterkunft nennt, das Leben mit anderen Geflüchteten, die ihre Hoffnung nicht aufgeben, aber wissen, dass Freundschaften schnell enden, wenn man abgeschoben oder in ein anderes Flüchtlingsheim verlegt wird:
„Im Exil solltest du mit nichts anderem als mit der Sprache Wurzeln schlagen."
Sprache ist Heimat
Und doch ist es gerade die Sprache, die sich als besonders starkes Band in die frühere Heimat erweist. Sie reicht weit hinein in die Romane von Usama Al Shamani, der angekommen ist in der Schweiz - als Autor, als Mitglied der Kritikerrunde in Nicola Steiners „Literaturclub", als Teilnehmer am Bachmann-Wettbewerb 2022. Ein beeindruckender Weg in eine neues Leben und ein poetischer Roman über den beschwerlichen Weg dorthin.
(Christiane Schwalbe)
Usama Al Shahmani, *1971 in Bagdad, 2002 in die Schweiz geflüchtet, irakischer-schweizer Autor und Übersetzer, lebt im Kanton Thurgau/Schweiz
Usama Al Shahmani „Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt"
Roman, Limmat-Verlag 2022, 176 Seiten, 26 Euro
eBook 19,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Usama Al Shahmani
"Im Fallen lernt die Feder fliegen"
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