Susanne Mayer
Die Kunst, stilvoll älter zu werden
Erfahrungen aus der Vintage-Zone
Vintage bedeutet retro, das klingt irgendwie schick, ist was Besonderes. Wenn's ein Möbelstück ist oder ein Kleid oder ein Glas, dann sind kleine Gebrauchsspuren erlaubt, Vintage als Lebensabschnitt ist da schon problematischer.
Jugendwahn
Das hat weniger mit den Menschen zu tun, die in die Vintage-Zone rutschen, sondern mehr mit der Gesellschaft, in der Jungsein und Jugendwahn vor allem Frauen schnell zu alten Schachteln deklariert. Susanne Mayer, promovierte Kulturwissenschaftlerin, ist Autorin und Kolumnistin der ZEIT und hat schon in ihrem Blog witzig und mit spitzer Feder notiert, was einem alles widerfahren kann, wenn man zwar jenseits der 60 ist, sich aber alles andere als alt fühlt.
Restlaufzeit
In ihrem Buch notiert sie Erfahrungen und Beobachtungen aus einer Lebensphase, in die wir unweigerlich alle mal kommen:
"Die Vintage-Zone ist ein Zwischenreich, bevölkert von bemerkenswerten Gestalten. Man sieht sie aber nur, wenn man die mentale Brille ordentlich putzt … Welche Mühe und Sorgfalt sie auf sich verwenden, wie viel Stil sie an den Tag legen. Wie viel noch geht, gegen den beharrlichen Widerstand der Natur."
"Restlaufzeit" nennt sie an anderer Stelle die Jahre, die noch bleiben und von denen niemand weiß, ob es zwei oder zwölf sind.
Frauenbewegung
Aber wie viele auch immer es sein mögen, sie geben keinen Anlass, sich unsichtbar zu machen, schmerzenden Knien zu gehorchen und sich Zuschreibungen zu beugen, die von außen kommen, und die Susanne Mayer klug und ironisch kommentiert. Auch wütend, wenn es beispielsweise um die Frauenbewegung geht und Männer bis heute das Weltgeschehen weitgehend unter sich abhandeln:
"In den großen wichtigen Diskussionen unserer Tage reden Frauen auch heute nur am Rande mit. Fällt nicht immer auf, dass bei den schönen Themen Klimawandel, Europakrise, Krieg in Afghanistan, Bekämpfung des Terrors, Männer sich vor allem mit Männern unterhalten – weil es meist gelingt, eine Frau in die Talkrunde zu schmuggeln."
Erfahrungen
Alibifrau hieß das früher und gilt bis heute, denn im Großen hat sich nichts verändert. Die Beweise dazu liefert die Autorin gleich mit, wenn sie in die eigene Kindheit und Jugend zurückblickt und ihre persönliche Lebensgeschichte mit der ihrer Mutter oder anderer Frauen dieser Generation vergleicht. Susanne Mayer schaut auch auf die kleinen, vergänglichen Dinge des Alltags, seien es Briefe, die heute niemand mehr schreibt oder Schuhe, die wegen zu hoher Absätze im Schrank bleiben. Man kommt plötzlich an Grenzen, die Kneipengänge werden seltener, die Freizeitbeschäftigungen ruhiger, die Schuhe flacher, die Kleidung bequemer, was soll's.
Neue Lebensphase
Dieses Buch regt vergnüglich, pointiert und geistreich dazu an, das Älterwerden nicht als Last, sondern als neue Lebensphase zu begreifen, ohne sich von Vorurteilen in die Grauzone korrekten Alterns drängen zu lassen - mit entsprechenden Ratschlägen zielgruppenorientierter Woman-Zeitschriften:
"Auf dem Land leben, Ausschlafen, alles in Ruhe angehen. Viel lesen ... in Laos Vintage-Au-pair sein … gelenkschonend Fahrrad fahren ... wandern. Vogelgesang entspannt ... Blumen pflanzen kann Ängste abbauen … Nieselregen glättet die Haut." Ergebnis: Essen wird "eine Aufgabe, die ratgebergerecht durchzuplanen ist … Es gibt keine unschuldige Kleidung mehr und Styling ist verbitterte Hilflosigkeit."
Gerne auch schrill
Stilvoll älter zu werden - das macht Susanne Mayer auf heiter-ironische Weise deutlich - bedeutet vor allem, sich nicht selbst zu verlieren, sondern wohlwollend zu beobachten, was sich verändert. Es gilt, gelassen und sich selbst treu zu bleiben - gerne auch mal schrill, aber selbstbewußt und mit Stil.
(Christiane Schwalbe)
Susanne Mayer "Die Kunst, stilvoll älter zu werden"
Erfahrungen aus der Vintage-Zone
Berlin-Verlag 2016, 224 Seiten, 20 Euro
eBook 15,99 Euro